Paris im Sinn "Großer Kater und Umschwung" – Nölkens Aufbruch in die Moderne
- November 27, 2018 06:00 PM
- Ernst Barlach Haus, Jenisch Park, Baron-Voght-Straße 50a, 22609 Hamburg-Altona
Kuratorenführung mit Dr. Karsten Müller
Lesen Sie den Beitrag der Autorin und Galeristin Angela Holzhauer zur Ausstellung:
„Er arbeitet sich zur Einfachheit durch“
Von einem früh gefeierten Künstler in Hamburg, den es dennoch immer wieder nach Paris zog, weil er mehr wollte als hanseatisch impressionistisch zu malen. Das Ernst Barlach Haus zeigt rund 70 Werke von Franz Nölken: „Paris im Sinn.“ Eine Hommage
Keine Stadt verspricht so viel: Paris! Die Stadt der Liebe und des Lichts, der feingliedrigen Französinnen, der Verführungen des Lebens. Franz Nölkens Zeitgenosse Rainer Maria Rilke schreibt 1910: „Ich bin in Paris, die es hören, freuen sich, die meisten beneiden mich. Sie haben recht. Es ist eine große Stadt, groß voll merkwürdiger Versuchungen. (…) Ich bin diesen Versuchungen erlegen, und das hat gewisse Veränderungen zur Folge gehabt, wenn nicht in meinem Charakter, so doch in meiner Weltanschauung, jedenfalls in meinem Leben. (…) Ich habe es augenblicklich etwas schwer, weil alles zu neu ist. Ich bin ein Anfänger in meinen eigenen Verhältnissen.“ Paris war auch das Zentrum der Avantgarden, der französischen Impressionisten, der Post- und Neo-Impressionisten, der Nabis und Fauves, der Kubisten, allesamt Erneuerer der Malerei zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Kein Wunder also, dass der knapp 20jährige Maler Franz Nölken, nachdem er ab 1903 in der Hamburger Dependance der Galerie Cassirer zum ersten Mal Bilder dieser neuen französischen Maler sah, da hin hinreisen musste. Ein, zwei und schließlich noch ein drittes Mal. Die Veränderungen, die diese Studienreisen in Nölkens Werk und Wesen mit sich brachten, die zeigt die Ausstellung „Paris im Sinn. Hommage an den Hamburger Franz Nölken“ im Ernst Barlach Haus anschaulich.
Franz Nölken (1884 - 1918) galt als Wunderkind, wie die Kunstkritikerin Rosa Schapire in ihrem Nachruf schreibt. Aus musikalischem Haus stammend konnte Nölken als Knabe schon schwierigste Stücke auf dem Klavier spielen, hatte als Gymnasiast ganze Wagnerpartituren im Kopf und theoretisierte über Musik. Er wusste lange nicht, ob er Maler oder Kapellmeister werden sollte. Mit dem Komponisten Max Reger, den er später häufig porträtierte, verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Mit 18 wurde Nölken dann Schüler des Hamburger impressionistischen Freiluftmalers Arthur Siebelist und debütierte mit „erstaunlicher Handgeschicklichkeit“, überraschte mit Bewältigung von großen Flächen „und einer seltsamen Frühreife“ (Schapire).1904 dann feierte der nun 20jährige Maler erste Ausstellungserfolge in der Galerie Commeter. Alfred Lichtwark, Kunsthallendirektor und großer Förderer der jungen hanseatischen Malergeneration, war begeistert und mahnte gleichzeitig zu Bodenhaftung und Ruhe in der weiteren Entwicklung. Franz Nölken ist bereits Mitglied im Hamburger Künstlerclub, und nach dessen Auflösung bemüht sich 1908 die Dresdner Künstlervereinigung Brücke um ihn. Nölken selber schreibt 1905 rückblickend auf seine frühen Erfolge hingegen von „großem Kater und Umschwung“, denn er selbst war nicht zufrieden mit seinen Arbeiten dieser Zeit. Bei regelmäßigen Besuchen beim westfälischen Zweig seiner Familie in Borgeln bei Soest lernt Nölken Karl Ernst Osthaus kennen, Sammler und Gründer des Folkwang Museums. In dessen Weltkunstmuseum in Hagen sieht Nölken 1905 eine Gauguin-Ausstellung, im Folkwang Museum einen Renoir, was seinen Unwillen am eigenen Werk forciert und Nölken verkündet seinem Freund und Kollegen Friedrich Ahlers-Hestermann geradezu programmatisch: „Ich male, oder strebe das wenigstens an, geradezu hochvernünftig und lasse deshalb alles fallen, was mich irgendwie verwirren könnte, ignoriere Pinselstriche, ich teile keine Farbe mehr, übersehe alle Einzelheiten, die nicht hochnotwendig sind, und achte nur darauf, daß mein Bild mit den einfachsten bildmäßigen Mitteln geschlossen und gefüllt wird. Also starke, ganz einfache harmonische Farbe, große bestimmte Formen und Verteilung: (…)so hoffe ich zu klaren anständigen Bildern zu kommen. Mit Tapete hat das so viel und so wenig zu tun wie jedes gute Bild, das auf grobdrahtigen Naturalismus verzichtet.“
Die fürsorglichen Warnungen Lichtwerks ignorierend reisen dann die Freunde Nölken, Ahlers-Hestermann und Walter Alfred Rosam im Frühjahr 1907 zu einer ersten Stippvisite nach Paris, sie klappern Galerien und Museen ab, verschaffen sich einen Überblick. Danach beschließt Nölken, noch einmal Schüler zu werden und schreibt sich in der Académie von Henri Matisse ein, studiert dort von 1909 bis 1910 abzüglich der Ferienmonate für ein Jahr die Leitvorstellungen der Matisseschen Kompositionslehre von Gleichgewicht, Reinheit, Ruhe, dessen harmonische, nach innenbildlicher Balance von Farben und Formen strebende Kunst, dessen Regeln, wie ein Maler seine Empfinden ausdrücken kann. Rosa Schapire posthum: „Unter der Führung dieses Lehrers setzt strenge Selbstzucht ein, Nölken geht das Gefühl dafür auf, daß ein Bild ein Organismus sei, eine Welt für sich, er erkennt die Schönheit und Gesetzmäßigkeit statisch abgewogener Flächen. Er arbeitet sich zur Einfachheit durch.“ Bei seinen wöchentlichen Rundgängen in der Académie kommentiert Matisse Nölkens Versuche immerhin mit einem „pas mal“. Darüber hinaus findet Nölken in den Pariser Museen zum Beispiel Renoir zum Niederknien oder schielt nach der vibrierenden Leichtigkeit in den Bildern des großen Cézanne. Franz Nölken ist nun ein ernsthaft arbeitender Maler und vertieft seine französischen Erkenntnisse mit einer weiteren Reise nach Paris im Jahr 1914. Kurz vor Kriegsende aber wird er 1917 noch eingezogen in die Fernmeldeabteilung an der Westfront. Am 4. November 1918 trifft ihn schon auf dem Rückzug ein Granatsplitter tödlich. Nölken hatte wohl keinen Helm getragen und gehört fortan in den Club der zu früh gestorbenen Hochbegabten des ersten Weltkriegs.
Auf den Tag genau am 100. Todestag Franz Nölkens eröffnet das Barlach Haus die Ausstellung, in der man nun Raum für Raum der Sinn- und Formensuche des für immer jungen Talents folgen kann. Es geht dieses Mal links herum und beginnt mit frühen Porträts aus den ersten Hamburger Erfolgsjahren. Der zweite Raum zeigt Bilder von Kindern „in ihrer ganzen Entschlossenheit“, wie Karsten Müller, Direktor des Museums und Kurator der Ausstellung es formuliert: am Spieltisch - sehr schön beleuchtet und unterstützt von der Kallmorgen-Architektur des Hauses -; „Zwei stehende, kleine Mädchen“, ein bezauberndes, lichtdurchflutetes Werk aus Pastellkreide (Cézanne im Sinn?), bereits nach dem ersten Parisaufenthalt 1907 entstanden. Im großen Atrium-Raum dann eine Reihe Landschaftsbilder von 1909 (schon ein bisschen Matisse-Einfluß zu sehen?), 1912, 1914 zum Teil sehr offen belassen; „Zwei sitzende Mädchen im Gespräch“, 1912, in Taubenblau-Lila (leicht kubistisch aufgeteilte Fläche). Im kleinen Kabinettzimmer auf der anderen Seite des Gebäudes sind dann endlich einige französische Damen zu sehen, besonders auffällig das markante Gesicht des Katalogcover-Girls: Nölkens Geliebte Jeanne.
Überhaupt: Franz Nölken und die Frauen. Mit Anita Rée teilte der Maler in dieser Zeit in Hamburg ein Atelier. Ein Porträt mit leer gekratzten Augen (wohl ein Brandschaden) und ein Akt weist auf viel mehr als eine Arbeitsbeziehung mit ihr hin. Und dann im letzten großen Raum bis auf ein Interieur ausschließlich Frauen in Anti-Posen (á la Degas) und in Badezimmersituationen (Sind das alles Pariserinnen?). Besonders stark der schwefelgelbe „Sitzende Akt“ von 1907, wo eine nackte Schöne draußen im Grünen sitzend sich das Gesicht mit der Hand verschattet (im Stil der Fauves?) und „Das große Badebild“, 1912, ein sehr scheckiges, Flächen offen lassendes Gemälde, das Rund der Wanne in kubistischer Eckigkeit aufgelöst (Picasso?). Dazu Serien schneller Zeichnungen, die an Toulouse-Lautrec und an viele mehr erinnern.
Darin liegt der Charme der kompakten, konzentrierten, klar strukturierten Schau, dass man als Betrachter gleichsam mit dem Maler Franz Nölken zusammen Bild für Bild eine Schule des Sehens unternimmt. Man sortiert im eigenen Gedächtnis das eine oder andere Werk berühmter Franzosen oder deutscher Expressionisten, assoziiert sein kunstgeschichtliches Wissen und gleicht sie mit den Arbeiten Nölkens ab. Und kann dabei fühlen, wie hart dieser Künstler an einer eigenen malerischen Entwicklung gearbeitet haben muss. „Das Zufällige weicht dem Notwendigen“, fasst Rosa Schapire diese Sinnsuche des sein kurzes Leben lang stets Lernenden zusammen.
Diese nach Anfang der 1990-Jahre bereits zweite Nölken-Ausstellung im Ernst Barlach Haus ist in enger Zusammenarbeit und mit Leihgaben der Hamburger Kunsthalle, der Galerien Hans und Herold, des Museums Wilhelm Morgner und privater Leihgaben zustande gekommen. Zur Ausstellung erscheint ein bilderreicher und lesenswerter Katalog mit Texten von Karsten Müller, Friederike Weimar und Rosa Schapire.
Anmeldung Bitte melden Sie sich bis zum 26. November 2018 per E-Mail unter info@nordpuls.hamburg an.